Formerei

Wettbewerb Gipsformerei, Berlin.
Landschaftsarchitektur und Kunst.
1. Preis
In Arbeitsgemeinschaft mit studiofutura (Matteo Basta, Marco Smerghetto, Laura Veronese)
Künstlerin: Barbara Wille
Mitarbeit: Adriaan Klein
Perspektive Hof: Adrian Calitz
Die Gipsformerei steht in funktionaler Dualität zwischen Produktion und Präsentation. Der historische Ort ist Produktion, Lager, Schauraum, Verkauf, er dient der Wissenskonservierung und Vermittlung. Der gemeinsame Entwurf für die künstlerische und landschaftsarchitektonische Gestaltung der Freiräume widmet sich dem Raumbild einer Manufaktur, als präsentabler Werkhof. Ein angenehmer, gleichzeitig funktionaler, formal repräsentativer, gleichzeitig vorbildlich nachhaltig gestalteter Ort.
Formen
Konzeptionell steht der Umgang mit Formgebung, Kopie, Prozess und Veränderung im Vordergrund; unterschiedliche Zeitlichkeiten werden sichtbar gemacht. Inhaltlich an die Tätigkeiten der Gipsformerei angelehnt, erzeugen Skulptur und Gartenkunst Repräsentation und räumliche Gliederung. Sie stellen Fragen nach dem Verhältnis von gewachsener Form zu kultureller Formung und Original zu Kopie. Zur Sophie-Charlotten-Straße hin schafft eine Säulenfigur aus replizierten Einzelformen zusammen mit der seriellen Reihung flacher Heckenkörper eine einprägsame, gleichzeitig spielerische Präsenz der Gipsformerei. Beide Formreihen reflektieren die streng gegliederte Ziegelfassade und ergänzen diese durch eine eigene starke Rhythmik. Im Hofraum, vor der neuen Werkhalle platziert, verweist eine zweite, etwas höhere Säule nochmals auf das Thema der Replikation, die auch die Grundlage und Zielsetzung der Arbeit in der Gipsformerei darstellt.
Menschliche, kulturelle Formgebung stehen auch hinter den beiden augenscheinlichen landschaftsarchitektonischen Gestaltungsmitteln der Gipsformerei: Neben den Heckenkörpern vor dem Gebäude wird der zentrale Hofraum nach Süden hin von einer Reihe von Spalierbäumen gefasst, die gleichzeitig die Sequenz der Aussenräume von Ost nach West begleiten. Hecken- und Spalierformen thematisieren gleichzeitig gärtnerisch wie gartenkünstlerisch die Balance zwischen Natur und Kultur. In der Gipsformerei dient die Formgebung der Pflanzen auch der Unterstreichung des Kontrasts: Während die Formgehölze prägnante, leitende Raumelemente bilden, kontrastieren sie die naturnah konzipierten Bodenoberflächen (und Bodenfunktionen).
Flächen / Gliederung
Die Konzeption der Flächen zueinander ist als Schichtung zu lesen. Der historische Hofraum ist nach Westen geneigt, die neuen, zur baulichen Erweiterung gehörenden Belagsflächen überlagern die Bestandshöhen; beide sind topographisch so angeordnet, dass sie in die niedrigere (Bestand)schicht mit offenem Boden entwässern.
Eine funktionale Schicht aus ’schwebenden‘ Flächenelementen erschliesst und faßt gleichzeitig klammerartig die Zeitigkeiten zusammen. Konzentrierte Elemente aus Metallrosten bilden als Decks Zugangsebenen und verbinden schwellenfrei über Rampen und Treppen Hofflächen und Gebäudezugänge. Zwischen historischem und zeitgenössischem Material- und Arbeitskontext sind diese Metallelemente als Anliefer- und Transportelemente les- und nutzbar und dienen der Mobilität der Besucher wie auch den Arbeitsabläufen der Gipsformerei.
Die Hofflächen bestehen aus Natursteinpflaster in zwei unterschiedlichen Körnungen: Großsteinpflaster für die zentralen und befahrbaren Bereiche, Mosaiksteinpflaster für fußgängige Bereiche. Das Großsteinpflaster erhält gesägte Oberflächen, das Mosaikpflastermaterial besteht aus glatt brechendem Naturstein (z.B. Kalkstein, Quarzarenit). Das Großsteinpflaster wird auch im straßenseitigen Zugang verwendet und verbindet so Zugang und Hofraum. Die Durchfahrt selbst könnte durch die Verwendung von Natursteinbelag als Verbindungsraum gestalterisch eingebunden werden.
Eine niedrige Stützmauer aus Stampfbeton dient der räumlichen Strukturierung und Flächengliederung im Hofraum. Die Pflasterbereiche sind gegenüber dem Bestandsniveau leicht erhöht, die Mauer fasst diese Fläche mit einem Höhensprung von etwa 45 cm. Die Betonmauer ist mit Granitplatten einer Tiefe von 85 cm gedeckt. Die Materialität nimmt die Decksteine der Einfassungsmauer im Vorgartenbereich auf. Weitere Mauerstrukturen im hinteren Gartenbereich erhalten ebenfalls eine Abdeckung aus Granitplatten. Hier entsteht mit einer einzelnen Staffelung als Sitzmauer auch ein nach Westen gewandter, vegetationsgeprägter ruhiger Aussenbereich, der vor allem den Mitarbeitern zugänglich sein soll. Eine Treppe aus Metallrosten und eine flache Rasenrampe (Schotterrasen) erschliessen hier den leicht tiefer liegenden Gartenraum.
Eine schmale Wegeverbindung aus einem Metallrost, begleitet von einem Gehölzstreifen und zwei Sitzbänken (Stampfbeton mit Deckung aus Holz) erschliesst einen ruhigen Gartenbereich entlang der Nachbarmauern.
Erschliessung / Barrierefreiheit
Mehrere Eingänge der historischen Gebäude benötigen bauliche Ergänzungen, um einen schwellenlosen Zugang zu ermöglichen. Die nötigen Überbrückungen werden mit zusammenhängenden Decks aus Metallrosten erreicht, die auch direkte, horizontale Verbindungen zwischen Eingängen schaffen. Die Metalldecks werden darüber hinaus an weiteren Orten lesbar als Zugangswerkzeug eingesetzt. Die aus im Bestand vorhandenen Elementen weiterentwickelten Metallelemente werden in ihrem (industriellen) Materialcharakter gleichzeitig als atmosphärische Signifikanten des Arbeitsortes Gipsformerei eingesetzt. Denkmalpflegerisch überdecken die Roste die historischen Lichtschächte, die weiterhin strukturell, funktional und visuell erhalten bleiben. Mit den Abdeckungen und teilweise innenseitigen Einfügungen bis Oberkante Lichtschacht werden gleichzeitig die unterschiedlichen Geländereinfassungen der Lichtschächte obsolet. Es wird ein ruhiges, stimmiges Raumbild geschaffen. Notwendige Öffnungen (Falltüren, Hubplattform) können unauffällig in die Metallkonstruktionen integriert werden.
Vegetation
Die Heckenkörper werden aus Eiben vorgezogen, als Spalierbäume sehen wir Feldahorn vor. Der bestehende Bergahorn im Hofraum wird mit weiteren Ahornen (Ersatzpflanzungen) zu einer informellen Baumgruppe ergänzt. Die Gehölze stehen in einer offenen, naturnahen Kräuterrasenfläche. Nach Süden hin wird der Hofraum entlang der Nachbarmauer mit niedrigen Gehölzen begrenzt. Z.B. Cornus, Amelanchier (ovalis), Salix (purpurea), Berberis (julianae), Euonymus (europaeus), Ligustrum, Ribes (sanguineum). Die Flächen zwischen den Heckenkörpern im Vorgarten werden als naturnahe Rasen entwickelt. Westgarten: Der leicht geböschte Bereich aus Wiesenflächen wird mit lichten, landschaftlichen Gehölzen bestellt (Acer campestre, Pyrus communis, Juglans nigra, Pflaumenbaum (Mitarbeiter)). Fassadenbegrünung ist am Neubau mit Selbstklimmern vorgesehen (Wilder Wein).
Regenwassermanagement
Prinzipiell stehen die zentrale Vegetationsfläche im Hof sowie der Vegetationsbereich im Westgarten für eine Flächenversickerung zur Verfügung. Der Niederschlag der Verkehrsflächen werden in der Fläche gesammelt und über die belebte Bodenzone versickert. Die Topographie (Senkbereich) schafft hierbei ein großes Volumenpotential. Direkte Versickerung der Dachflächen über Rigolen. Teilmengen der Dachflächen können voraussichtlich auch über die Mulde in der zentralen Vegetationsfläche im Hof versickert werden (Mischkonzeption). Je nach Bodenqualität könnten die Rigolen auch als Retentionsvolumen für eine gedrosselte Ableitung ausgelegt werden. Überflutungsvolumen im Vegetationsbereich im Westen nachweisbar. Zwischengeschaltete Zisterne zur Bewässerung der Freianlage.
Nachhaltigkeit
Folgende weitere Aspekte des Entwurfs sind Teil der Konzeption zur Nachhaltigkeit:
– hoher Anteil Vegetationsfläche
– Natursteinpflaster mit versickerungsfähigen Fugen
– Wiederverwendung Material (Großsteinpflaster, Granitplatten)
– Baumerhalt, biodiverse Pflanzenauswahl
– Stampfbeton mit geringem Zementanteil
Pflege und Unterhalt
Die Formgehölze sind wie (streng) geschnittene Gehölze zu pflegen, somit jährlich ein- bis höchstens zweimaliger Schnitt. Für die Spalierbäume ist die Erreichbarkeit mit Arbeitsbühnen, oder einem Hubsteiger gewährleistet. Die Spalierbäume sollten etwa alle zwei (bis drei) Jahre geschnitten werden. Der Schnitt sollte in beiden Fällen fachlich professionell erfolgen. Die biodiversen Wiesenflächen / Kräuterrasen sind vier bis sechsmal jährlich zu mähen. Formgebung/haltung: Die Pflanzflächen der Heckenpflanzen werden zu den angrenzenden Rasenflächen durch bodeneben eingebaute Stahlkanten gefasst. Diese verdeutlichen die Form der Heckenkörper und vereinfachen die langfristige Erhaltung der Form.
Kunst
Wie ein Ei dem anderen gleichen sich die sieben Formen, die im Vorgartenbereich des Altbaus der Gipsformerei zu einer Säule übereinandergestapelt sind. Genauso gleichen sich die großen Heckenvolumen, die in strenger Reihung den Freiraum dieser Vorgärten strukturieren.
Wie ein Ei dem andern gleichen sich auch die Abgüsse, die mit den in der Gipsformerei der Staatlichen Museen archivierten Stückformen jeweils hergestellt werden. Von ägyptischen König*innen über die Gött*innen und Giganten des Pergamonaltars, Adler und Löwen, antike und vorzeitliche Gefäße, Urnen, rituelle Gegenstände, preußische Prinzessinnen und die rechte Hand Goethes bis hin zu Totenmasken berühmter Persönlichkeiten und Gründungsurkunden in Keilschrift bestellen hier Institutionen und Privatleute aus aller Welt originalgetreue Abgüsse von den mehr als 7000 Kunstgegenständen, die als Stückformen oder Mastermodelle in den Regalen der Gipsformerei lagern.
Diese Fülle künstlerischer Werke, über die die Institution ex negativo verfügt, legt es nahe, nicht ein einzelnes, prominentes Beispiel ästhetisch herauszugreifen sondern vielmehr die Produktionsästhetik der Manufaktur in den Blick zu nehmen. Der künstlerische Vorschlag greift die Idee der Kopie von Modellen sprichwörtlich auf. Im Kontext der für die Gipsformerei konzipierten Freiraumgestaltung thematisiert er die Differenz zwischen natürlich gewachsener Form und durch den Menschen erzeugte Formung.
Die Arbeit besteht aus einem Ensemble zweier Säulen aus identischen, senkrecht aufeinander getürmten Eiformen an zwei verschiedenen Orten der Gipsformerei. Sie verweist auf das Potenzial der Abformtechnik, aus einer einzigen Form gewissermaßen eine unendliche Anzahl identischer Modelle herstellen zu können. Im Bild des Eies ist dieses Potenzial zudem verdeutlicht. Die Stückform eines Eies wäre wiederum eiförmig. Das Ei ist somit Form und Modell zugleich. Darüber hinaus sind Eierschale und Gips chemische Verbindungen des Elements Kalzium.
Die über acht Meter hohe Säule im Vorgarten strukturiert den Raum zwischen der strengen Fassade des Altbaus und der Sophie-Charlotte-Straße. Sie ist mittig in einem der Felder platziert, die sich durch die serielle Anordnung der orthogonal geschnittenen Hecken ergeben. Die Farbigkeit der Säule greift das gipserne Weiß der in den Schaufenstern dargebotenen Abgüsse auf und schafft eine Verbindung.
Die neunteilige Wiederholung der Säule im Werkhof erweitert das Thema der potentiell unendlichen Reproduzierbarkeit auf die Ebene des Kunstwerks selbst. Sie steht in direkter Blickbeziehung zur Werkhalle des Neubaus und ist somit ein Verweis auf den handwerklichen Herstellungsprozess vom Original über die Form zum Modell. Beide Säulen erinnern zudem an das ikonische Werk „Unendliche Säule“ des rumänischen Bildhauers Constantin Brancusi.
Beide Säulen stehen räumlich und inhaltlich in Beziehung zueinander, sowie zu der sie umgebenden Freiraumgestaltung und den Betriebsabläufen der Gipsformerei: dem Werkhof als dem Ort der Produktion und dem Vorgarten als der Schnittstelle zur Öffentlichkeit. Sie aktivieren den Raum zwischen diesen Orten zu einem offenen Diskurs über Original und Kopie, Form und Formung.