Reframing

Eingeladener, anonymer, einstufiger Projektwettbewerb, 2. Preis

Mitarbeit: Lorenza Manfredi

mit Barbara Wille

Die Wohnbauten des Berliner Architekten Norman Braun zeugen vom Optimismus und dem uto-pischen Impuls der deutschen Nachkriegsmoderne. Die Fassaden des vier- bis neungeschossigen Gebäudeensembles im Afrikanischen Viertel in Berlin Wedding wurden mit quadratischen Fliesen verkleidet, die sich, dem Bauvolumen folgend, um die abwechslungsreich gestaffelten Vorsprünge und Einzüge der Fassadensegmente falten. Die einzelne Fliese wird zum universellen Gestaltungsmodul, das mit der gebaute Form und der Dimension des Gebäudes korreliert. Das Fugenbild betont die räumliche Staffelung der Fassade und wird zum abstrakten Raster aus dem der Raumkörper erwächst. Diese prägnante bauzeitliche Fassade belegt die differenzierte Architektursprache Brauns und seine die Auseinandersetzung mit den Architekturutopien seiner Zeit, in denen modernes Bauen mit den veränderten Bedingungen urbaner und gesellschaftlicher Entwicklungen konfrontiert wurde. Begriffe wie Modularität, Rasterung und Superstruktur beschreiben die Gestaltungsspanne vom Material bis zur Stadtgestalt. Diese Kohärenz wurde relevant für die Vorstellung zukünftiger urbaner Entwicklungen. Bildprägend in dieser Zeit war das italienische Architekten-kollektiv Superstudio, das auf einem quadratischen Raster basierende skulpturale und konzeptionelle Architekturen entwarf, die prinzipiell unendlich erweiterbar waren und sogar kosmische Dimensionen annehmen konnten. Architektur wurde als Rahmenstruktur gedacht, die sich über bestehende Städte legt und in ihrem Inneren einen durch den Bewohner veränderbaren Freiraum bietet.

Da mit dem Rückbau der Braunschen Fassadenoberfläche auch der ästhetische Bezug zu diesen Utopien verschwindet, ist der vorliegende Entwurf für Vonovia Sculpture Experience als ein Statement zu lesen, an diese Kontexte anzuknüpfen und ihren ästhetischen wie konzeptionellen Wert zu würdigen. REFRAMING ist eine zweiteilige skulpturale Installation entlang der Längsachse des Freiraums zwischen den Wohnbauten. Die beiden rahmenförmigen Skulpturen sind mit keramischen Fliesen belegt, die denen der Originalfassade in Größe, Farbigkeit und Textur getreu nachempfunden sind. Die Akzentuierung der Hauseingänge, und damit das architektonische Wechselspiel zwischen Innen- und Außenraum, wird im neuen Verlegemuster der roten und weißen Fliesen spielerisch aufgegriffen. Die aus dem quadratischen Grundmodul entwickelte Dimension der beiden Rahmen lässt deren Anmutung zwischen Skulptur und Gebäude changieren. Sie sind sowohl Fenster als auch Fassade, sie schaffen spezifische Orte zum Verweilen, sind Innen- und Außenraum zugleich und bieten Standpunkte und Perspektiven an. Ihre Standflächen bestehen aus quadratischen Betonplatten, wie sie – ebenfalls bauzeitlich – im Freiraum der Siedlung eingesetzt wurden. Die Rasterungen der Rahmen und der Standflächen beziehen sich aufeinander. Eine Ecke des Rahmens ragt jeweils über die Basis hinaus und schafft einen räumlichen Verweis auf die umgebenden Freiflächen mit Rasen und altem Baumbestand. Der Titel des Kunstwerks verweist auf das ‚reframing’, eine dynamische Wahrnehmungsstrategie, die in der Psychologie Anwendung findet, wonach das Betrachten einer Sache aus einem neuen Blickwinkel heraus neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten kreiert. In diesem Sinne haben die beiden rahmenförmigen Skulpturen das Potential, sowohl über die räumliche als auch die zeitliche Distanz hinweg eine Verbindung untereinander und zu ihrem Umfeld aufzunehmen, die je nach Standpunkt unseren Bezug zur Utopie der Nachkriegsmoderne und deren ästhetischer Kraft neu in den Blick nimmt und ihn auf das Bestehende und Kommende projiziert.

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